Dosenöffnerbericht von Magic Thai Goblin’s Eliah und Enias

2. März 2017:
Es ist noch keine 24 Stunden her, dass unser Tonkanese Felice uns mit fast 17 ½ Jahren verlassen musste – nur knapp zwei Monate, nachdem sein Thai-Gefährte Bijou das Ende seines Lebens erreicht hatte. Aus den quirligen Katerchen, die wir 1999 zu uns geholt hatten, waren zwei ältere Herren geworden, die aber ihre Jugendzeit immer noch nicht vergessen hatten und uns unendlich ans Herz gewachsen waren. Trotzdem haben wir beide, Renée, die ihren Liebling genauso vermisst wie ich, Klemens, schon gestern wieder herzhaft gelacht über die beiden kleinen Kobolde, die seit fast einem Monat unsere Wegbegleiter sind. Magic Thai Goblin’s Eliah und Magic Thai Goblin’s Enias haben unsere Lebens seitdem gründlich umgekrempelt.

Rückblende, 4. Februar:
Freitagnachmittag, viertel nach vier. Wir werden ungeduldig. Langsam sollten unsere Jungs doch nun ankommen. Vor zwei Wochen haben wir sie in Sünninghausen besucht und waren froh darüber, dass Caroline und Thomas sie uns wirklich anvertrauen wollen. Nun spähen wir immer wieder aus dem Fenster. Endlich ist der blaue Bulli da. Endlich sehen wir, wie vier wundervoll märchenhaft blaue Augen uns gespannt aus einem Tragekorb betrachten.
Sie sind ganz schön keck, die Buben. Keine Angst vor der ungewohnten Umgebung, nur ein wenig Zurückhaltung. Aber der Kratzbaum wird gleich genauso interessiert erkundet wie sämtliche Ecken unseres Wohnzimmers, in dem wir sitzen, das bereits gekaufte Katzenspielzeug offensichtlich als brauchbar bewertet (oh nein, wir zeigen keine Begeisterung darüber, was man alles für uns angeschafft hat, das ist doch das Mindeste, was wir erwarten können), das Katzenklo in Besitz genommen. Das Finanzielle wird geregelt. Wir sind uns sicher, dass wir unsere beiden Knirpse nicht „gekauft“, sondern das Recht erworben haben, sie bei uns zu beherbergen – und die Pflicht, sie so gut wie menschenmöglich zu betreuen. Und außerdem haben wir den eindeutig besseren Tausch gemacht. Was ist der Verlust von einer Handvoll Banknoten gegen den Gewinn von zwei wundervollen Geschöpfen?
Als Caroline und Thomas wieder weg sind, kommt doch noch ein Schreck in der Abendstunde. Felice will die beiden näher ansehen. So einen verwegenen Burschen haben sie offenbar noch nicht gesehen. Ab unters Sofa. Fauch!!! Brumm!!! Du bist uns viel zu groß!!! Komm morgen wieder!!! Kein optimaler Anfang – aber, um es vorwegzunehmen: Etwas später als „morgen“ werden die Drei in schönster Eintracht gegenseitig Fellpflege betreiben.

5. Februar:
Seit einem Tag sind sie bei uns. Und schon haben wir ein Problem: Wer ist wer? Eliah hat den Haargummi verloren, den Caroline ihm gestern übergestreift hatte, weil wir die Jungs im Gegensatz zu ihr nicht unterscheiden konnten. Für uns gleichen sie sich wie eben ein Vierling dem anderen. Auf ihre Namen reagieren sie noch nicht. Aber wir haben vorgesorgt. Der Handscanner zeigt die Ziffernfolge ihrer Chips an. Endnummer 63 ist Jiri, Endnummer 45 Eliah. Ob wir sie jemals ohne diese Elektronik-Krücke werden werden identifizieren können?
Von Felice halten sich die Jungspunde noch fern. Und aber begrüßen sie bereits wie alte Freunde mit heftigem Schnurren. Und, wenn sie auf den obersten Plattform ihres Kratzbaums liegen, noch auf eine andere Art und Weise. Sie tun es vornehm-unhörbar, aber feine Duftwölkchen, die sich hinter ihnen ausbreiten, verraten es: Sie begegnen uns noch mit ein wenig Aufregung.

11. Februar:
Die erste gemeinsame Woche liegt hinter uns. Emotionale Bande haben sich auf beiden Seiten gefestigt. Die Fellnasen sind dabei, bei uns heimisch zu werden. Jiri hat bereits die senkrechte, mit Teppich beklebte Seitenwand unseres Regals in der Dirittissima erklommen – immerhin 202 Zentimeter hoch. Nur herunter hat er sich nicht wieder getraut. Auch die Vorderseite hat es ihnen angetan. All diese Bücher, da müsste man doch eigentlich mit ein wenig Kralleneinsatz… Lautes Gepolter und heftiges Pfötchengetrappel künden davon, dass sie sich da gründlich getäuscht haben. Wohl ein halbes Dutzend Bücher ist ihnen auf dem Kopf gestürzt darunter das Strafgesetzbuch samt Tierschutz-, Versammlungs- und Wehrpflichtgesetz etcetera pp. Haben wir uns ein Anarchistenpärchen ins Haus geholt? Sollten wie sie vielleicht in Kropotkin und Bakunin umtaufen? Auch französische Lyrik scheinen sie nicht zu mögen, denn Verlaines Gedichte lieben ebenfalls am Boden. Aber J & E gedeihen prächtig. Jiri wiegt nun 2160 Gramm ( + 210 in einer Woche), Eliah 2050 ( + 160).

18. Februar:
Zwei Wochen. Langsam werden sie mit Felice warm. Langsam, aber sicher. Das vorsichtige gegenseitige Beschnuppern wird nicht länger automatisch vom Fauchen unserer Thais begleitet. Nur zu Audrey von Kilala´s Wheaten, vulgo auch Farouche genannt und ihres Zeichens Irischer weizenfarbener Weichfellterrier-Hündin, meiden sie noch den Kontakt. Immer noch ist die oberste Plattform des Kratzbaums ihr Lieblings-Ruheort, aber sie liegen nun auch ab und zu auf dem Wärmekissen, das Caroline und Thomas ihnen geschenkt haben, und dehnen ihre Aktivitäten immer mehr auf das ganze Haus aus. Eliah beginnt mit kleinen Beißattacken auf Bücher die wir lesen, auf unsere Finger, auf den Schwanz seines Bruders. Es naht die Zeit des Zahnwechsels. Beim Krallenschärfen erhalten sich die Burschen erstaunlich zivilisiert. Tapeten in Zimmerecken lassen sie bisher in Ruhe. Auch unsere Sofas und Sessel sehen noch gut aus – sowohl die Polster als auch der Korpus aus getrocknetem, steifem Sumpfgras. Nur die Blumenvase auf dem Esstisch haben sie schon mehr als einmal in die Horizontale gebracht, und einmal sogar an den Rand des Absturzes, Zum Glück ist kein Wasser drin, nur Kunstblumen. Langsam beginnt aber unsere Erziehung zu wirken. Sie toben zwar noch auf dem Tisch herum, gucken aber schuldbewusst oder verschwinden sogar von ihm, wenn wir sie dort bemerken – nicht immer, und auch nicht immer öfter, aber beim Umgang mit solchen Halbstarken braucht es eben Geduld. Das Strafgesetzbuch haben wir vor Attacken der beiden geschützt, indem ich an einer Seite einen Kletterturm mit vier Plattformen angebaut habe. Sie sind mit Teppich beklebt und haben jeweils versetzte Durchstiegslöcher – so groß, das auch erwachsene Thaikater noch durchpassen werden. Erst erkundeten unsere Jungs die Aufstiegsroute zögerlich. Inzwischen schaffen sie diese zwei Meter Höhenunterschied wieselflink in gefühlten anderthalb Sekunden.

25. Februar:
Jiri und Eliah liegen im Bett. Im Wasserbett. Temperatur: 30 ° Celsius. Sie liegen lang ausgestreckt. Möglichst viele Quadratzentimeter Fell sollen die warme Oberfläche berühren. Ihr Gesichtsausdruck scheint zu sagen: „Hier sind wir, hier bleiben wir, hier gehen wir nicht weg“. Aber weil sie auch unsere Nähe suchen, folgen sie uns natürlich. In die Küche, wo sie aufmerksam beobachten, was dort zubereitet wird. Ins Wohnzimmer, wo die meisten Katzenspielzeuge verstreut sind. In die Vorratskammer, wo sie gern aufmerksam aus nächster Nähe beobachten, wie ihr Katzenklo gesäubert wird. Nur den Drang, uns auch nach draußen zu folgen haben sie noch nicht. Auch wenn wir vom Einkaufen oder vom Spaziergang mit dem Hund zurückkommen, erwarten sie uns nicht etwa an der Haustür. Dann fin den wir sie regelmäßig an ihrem Lieblingsort. Wo das ist? Es dürfte reichen, zu sagen, dass es dort 30 ° Celsius warm ist. (Wir verraten ihnen natürlich nicht, dass wir den Thermostat auch auf 36 ° einstellen könnten). Ihr Appetit ist übrigens ungebrochen. Eliah bringt nun 2460 Gramm auf die Waage, Jiri 2540.

5. März:
Der erste Monat ist rum. Fast eine Stunde lang hat Eliah heute Nachmittag auf meiner Brust gelegen, hingebungsvoll geschnurrt, sich an Hals und Bauch kraulen lassen und zwischendurch auch mal ein Nickerchen mit Traumphasen gehalten. Und er hat etwas getan, was ich so schnell nicht erwartet hätte: Er hat mich aufmerksam angeschaut und mir zugehört, als ich ihm eine Geschichte erzählt habe. Felice hat das immer mit Begeisterung gemacht. Natürlich ist mit klar, dass ich im passenden Tonfall auch die Brüsseler Änderungsverordnung zur Außerkraftsetzung der europäischen Bananenbiegeverordnung vortragen könnte, aber das tue ich natürlich nicht. Er genießt den ruhigen Klang meiner Stimme, und ich genieße es, dass ihm mein Tun gefällt. Die Jungs legen weiter zu: Jiri wiegt nun 2690 Gramm, Eliah 2600. Vorgestern hätte ich meinen Zuhörer von heute auf mindestens fünf Kilo geschätzt. Ich saß auf den Sofa, die Hand auf dem Ende der Lehne, die Finger schon auf dem senkrechten Teil. Da kam es Eliah in den Sinn, auszuprobieren, ob man sich an einer menschlichen Hand auch so schon hochziehen kann wie am getrockneten Sumpfgras. Er fand heraus: Man kann! Aber warum schreit sein Dosenöffner plötzlich so, als ob ihn ihm zehn spitze Dolche in die Finger gestoßen würden, jeder einzelne genau auf ein hochempfindliches Nervenende?

11. März:
Zwischen Eliah und Farouche hat sich eine große Liebesgeschichte entwickelt. Sie reiben ihre Köpfe aneinander, sie lecken sich gegenseitig ab, sie sind einfach unzertrennlich. Unser 14 Jahre altes Mädel blüht richtig auf, streift im Haus auf der Suche nach ihrem Liebling umher, wenn sie aus einer Schlafphase aufgewacht ist, kann gar nicht genug von ihm bekommen. Und das beruht hundertprozentig auf Gegenseiteitgkeit. Ob Eliah wohl bald anfängt zu bellen? Und Jiri mag unsere Hündin ebenfalls, wenn auch nicht so abgöttisch.
Mit menschlicher Logik betrachtet könnten wir sagen: Die beiden haben nur Unsinn im Sinn. Sie zwingen uns, unser Leben umzuorganisieren. Früher hatten wir Dinge wie Filzstifte für Notizen, Bons und Lesebrillen offen herumliegen. Nun ist all dieser Krimskrams in Kästchen und Dosen verwahrt, in denen er sicher vor dem Zugriff von Krallen und Milchzähnen ist. Nichts war vor dem Spieltrieb unserer Buben sicher. Nicht die Staubschutzkappe eines USB-Sticks, nicht die Packung Tempotaschentücher auf dem Nachttisch, nicht die Mandarine in der Obstschale. Nichts eben. Außer Grapefruits. Die sind zu schwer zum Verschleppen.
Wer immer dies liest, sei gewarnt: Am Sonntagmorgen friedlich im Bett frühstücken, das geht auch mit Thais im Haus noch. Nachdem sie ihren Morgenrappel abreagiert haben. Wer aber eine Tasse mit einem Rest Milch darin stehen lässt, wird sehr bald merken, ob die Öffnung so groß ist, dass ein Katzenkopf hineinpasst und die Tasse nicht zu hoch, als dass eine kleine rosa Zunge an die Milch kommt.
Um sie unterscheiden zu können, hatten wir Eliah ein Sicherheitshalsband, dessen Verschluss sich bei Zugbelastung öffnet, umgelegt, es neulich aber entfernt, weil wir uns dem Punkt näherten, die beiden auch so unterscheiden zu können. Für einen Tag hatte Jiri es dann noch bekommen, weil wir doch wieder an unserem Identifizierungsvermögen zweifelten. Für einen Tag. Dann war das Ding endgültig weg. Eliah hat den Verschluss am Hals seines Bruders mit den Zähnen geöffnet und es ihm abgestreift. Sie waren es offensichtlich leid. Und wer wären wir, diesem dringenden Wunsch der beiden jungen Herren zu widersprechen?
Beide Jungs haben rekordverdächtig zugelegt: Jiri auf nun 2960 Gramm, Eliah auf 2880 .Sie sind so völlig anders als Bijou und Felice waren. Viel aufgeschlossener Besuchern gegenüber. Es waren erfüllte 17 Jahre mit unseren alten Katern, die wir um nichts in der Welt missen möchten. Aber mit Jiri und Eliah merken wir einen Unterschied. Diesmal fragen wir uns nicht insgeheim, wie es ihnen wohl in den ersten Lebenswochen ergangen ist. Sie sind viel robuster gegenüber Umweltreizen, ruhen in sich selbst, haben zum Beispiel zwar auch nicht gerade eine Vorliebe fürs Staubsaugen, verkrümeln sich aber auch nicht im entferntesten Winkel des Hauses, sobald sie das Gerät nur sehen. Sogar unsere Tierärztin war voll Bewunderung darüber, wie gelassen die beiden sich auf ihrem Untersuchungstisch verhielten.
Auf der Suche nach unseren neuen Hausgenossen waren wir im Internet anfangs an eine „Zucht“ geraten, bei der wir zum Glück herausfanden, dass sie auf Fließbandproduktion ausgerichtet war. Eine andere Züchterin, mit der wir fast schon einig waren, schickte uns einen Knebelvertrag zu, der für „Verstöße“ gegen ihre Forderungen Strafzahlungen in vierstelliger Höhe enthielt und in einem Passus gipfelte, nachdem sie uns unsere Tiere ohne uns zu fragen wieder hätte wegnehmen dürfen, wenn sie glaubte, es ginge ihnen nicht gut. Mag sein, dass die Frau schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Aber wir haben abgelehnt, zwei Geschöpfe in einem Klima des Misstrauens zu „kaufen“. Und wir haben lieber einen Betrag bezahlt, der widerspiegelte, was alles an liebevoller Zuwendung, Hege und Pflege in die beiden Jungs investiert wurde, als dem Schnäppchenpreis der Fabrikzucht auf den Leim zu gehen. Wir haben es keinen Moment bereut, dass wir uns zwei Hausgenossen ausgesucht haben, denen man auf Schritt und Tritt anmerkt, dass sie aus einem guten Stall kommen.